Ewiger Streitpunkt - Kosten der Unterkunft
2013 war die Kreistagsfraktion der Partei DIE LINKE die einzige Fraktion, die ihre Zustimmung zum damaligen Konzept der angemessenen Kosten der Unterkunft verweigerte. Lutz Richter begründete damals die Ablehnung mit den grundlegenden Fehlern, die im Abschlussbericht der beauftragten Firma nachweisbar waren. Jetzt, 2016, wird die gleiche Firma – Analyse & Konzepte – wiederum beauftragt, diese Mietwertermittlung für den Landkreis zu erstellen. Wir sprachen deshalb mit Eberhard Wetzig über die Konsquenzen, die sich aus dem erneuten Deal zwischen Landrat und Analyse & Konzepte für Hilfebedürftige und Vermieter gleichermaßen ergeben könnten.
Frage: Eberhard Wetzig, was befähigt dich, die Arbeit der obengenannten Firma bei der Mietwertermittlung zu beurteilen?
Herr Wetzig: Im Jahr 2010 schlug diese Firma zum ersten Mal in Sachsen ein; im Vogtlandkreis. Hier sollte wohl ein Musterkonzept für ganz Sachsen erzeugt werden. Der Abschlussbericht dazu wird bis heute unter Verschluss gehalten. Bekannt ist nur die Aussage aus einem Vortrag des Geschäftsführers eines dortigen Wohnungsunternehmens, der seine Kritik am Konzept damals mit den Worten endete: "Operation gelungen – Patient tot". Ich habe mich seit diesem Augenblick intensiv darum bemüht, zu verstehen, was Analyse & Konzepte da eigentlich vorgelegt hat. Dazu musste ich mir vieles autodidaktisch aneignen. Da ich einen Ingenieurabschluss habe, war es letztendlich eine lösbare Aufgabe. Ich denke sogar, jeder Abiturient ist erkenntnistheoretisch dazu in der Lage, die Fehler der Firma zu entdecken.
Frage: Nun ist dieses Statement eines Geschäftsführers etwas wenig, um generell der Firma Analyse & Konzepte fehlerhaftes Arbeiten vorzuwerfen.
Herr Wetzig: Richtig. Und deshalb bin ich auf die Suche gegangen. Damals kursierten im Internet schon wenige Abschlussberichte für andere Landkreise von ebendieser Firma. Ich erkannte sehr bald, dass all diese Abschlussberichte nach demselben Muster gestrickt waren. Was dabei ein Vorteil sein kann, wenn der Versuchsplan immer wieder abgearbeitet wird. Allerdings sollte der Versuchsplan, die Untersuchungsmethodik also, fehlerfrei sein. Andernfalls kann getrost davon ausgegangen werden, dass in allen Mietwertermittlungen die gleichen Fehler gemacht worden sind. Und so kam es dann auch. In allen von mir untersuchten Abschlussberichten traten dieselben Fehler auf. Und das trifft eben auch auf die Mietwertermittlung für unseren Landkreis für 2013 zu.
Frage: Hat denn das sonst keiner bemerkt?
Herr Wetzig: Oh doch. Es mehren sich die Urteile von Sozialgerichten der ersten Instanz, die substantiiert die Methodik der Firma kritisieren. Was letztendlich zur Ablehnung der vorgelegten Konzepte führte. So wurde auch das Konzept des Lankreises Meißen – ebenfalls durch Analyse & Konzepte erstellt – vom Sozialgericht Dresden in der Luft zerrissen.
Frage: Es gibt doch aber auch zustimmende Urteile zur Arbeitsweise von Analyse & Konzepte...
Herr Wetzig: Naturgemäß ist die Erstellung eines schlüssigen Konzeptes zur Angemessenheit der Wohnkosten eine echte wissenschaftliche Herausforderung. Und das erfordert, dass auch jegliches Ergebnis aus dieser Untersuchung wissenschaftlich geprüft und widerlegt werden muss, wenn man es für falsch hält. Nun werden die Konzepte aber nur von Juristen durchgenommen. Haben die alle eine notwendige Ausbildung in mathematischer Statistik, in Felduntersuchung, in Versuchsplanung und einiges mehr? Und so kommt es, dass in den zustimmenden Urteilen regelmäßig so gut wie nichts zu den Methodikfehlern zu lesen ist. In den ablehnenden Urteilen aber sehr wohl. Und es gibt noch kein einziges Urteil einer höheren Instanz, die einen wissenschaftlichen Kritikpunkt der Vorinstanz widerlegt hat. Die sinnvollste Alternative wäre, jeder Kläger nimmt sich einen gerichtlich bestätigten Fachgutachter. Aber welcher Hilfebedürftige hat dafür schon das Geld?
Frage: Nun schweigt DIE LINKE in den Kreistagsfraktionen bisher aber auch....
Herr Wetzig: Das dürfte seine Ursache, genau wie bei den Juristen, in der Angst vor unbekanntem Terrain haben. Man bedenke, im Kreistag sitzen nebenamtliche Politiker. Die haben eine Berufstätigkeit, die schlaucht. Und Familienleben soll auch stattfinden. Und dann sollen über 60 Seiten nach Fachfehlern durchforstet werden. Übrigens, ich fragte 2013 den Ersten Beigeordneten für Soziales, wer denn in der Kreisverwaltung die Richtigkeit der Untersuchung prüfe. Seine Antwort war, dass es dafür niemanden gäbe... Wer hat eigentlich jemals die Methodik dieser Firma wissenschaftlich geprüft? Man stelle sich vor, ich würde von mir behaupten, Flugzeuge bauen zu können. Und niemand macht einen Kompetenztest.
Ich erinnere mich, wie ich angefangen habe, 2010. Erst nachdem ich den Bericht von hinten nach vorn gelesen habe und so der einschläfernden Wirkung des Textflusses widerstehen konnte, begann ich zu verstehen. Und so im Krebsgang voranschreitend, fragte ich bei jeder neu auftauchenden Behauptung, wo kommt das jetzt her. Übrigens, den vorerst letzten Fehler im Abschlussbericht entdeckte ich erst 2015. Er betrifft das Scheitern der verwendeten Clusteranalyse als Matrix für Mietwerte. Insgesamt sage ich im Vollbesitz meiner geistigen Kräfte, der Abschlussbericht ist ein Dokument von profesioneller Schamlosigkeit. Kostproben gefällig?
Frage: Und das wäre?
Herr Wetzig: Schon im Inhaltsverzeichnis wird man fündig. Es fehlt das Quellenverzeichnis. Damit sind alle externen Informationen als Plagiate zu werten – Wissenschaftlichkeit somit ausgeschlossen. Weiter geht es bei der Begriffsdefinition. Da wird ein weltweit eingeführter Fachbegriff der Statistik einfach umdefiniert und zweckentfremdet, dafür aber gemäß seiner eigentlichen Bedeutung nie verwendet, obwohl zwingend erforderlich. Dann wird behauptet, das Verschicken von Briefen in alle Himmelsrichtungen sei eine statistische Vollerhebung. Auch bemüht man einen Begriff aus der Linguistik, um mathematische Grundregeln aufzuheben. Da werden Zahlen herbeiphantasiert, die schon die Sozialgerichte verworfen haben. Da werden Wohnungsanzeigen analysiert und anschließend diese Methode als ungeeignet verworfen; übrigens in allen mir bekannten Gutachten dieser Firma. Wann merkt die denn endlich, dass diese Anzeigenauswertung bei ihr immer schiefgeht? Und dann wird auf BILD-Zeitungsniveau über eine Seite lang darüber schwadroniert, dass es z. B. einem Hartz-IV-Empfänger nicht besser gehen dürfe als Niedrigeinkommensbeziehern. Eine wissenschaftliche Arbeit hat nicht von Zielstellungen, sondern von Fragestellungen auszugehen! Wieso soll die Firma sich um den Wohnungsmarkt kümmern? Beschreiben soll sie ihn! Das alles nährt den schweren Anfangsverdacht, dass es sich um ein Gefälligkeitsgutachten handeln könnte und mit Wissenschaftlichkeit nichts zu tun hat.
Frage: Nun sind die Messen von 2013 aber gelesen. Was spricht deiner Meinung nach dafür, dass 2016 die Untersuchungen auf gleiche Weise ablaufen?
Herr Wetzig: Die Messen von 2013 schlummern als Klagen auf dem Sozialgericht Dresden. Ein mir bekanntes Anwaltsbüro äußerte den Verdacht, dass Entscheidungen zu den Kosten der Unterkunft von diesem Gericht wohl vor sich hergeschoben werden müssten – weil es einfach auf diesem Gebiet nicht vorwärts gehe.
Was nun die neue Mietwertermittlung betrifft, liegt mir keine neue Methodik der Firma Analyse & Konzepte vor. Es muss also schlimmstenfalls damit gerechnet werden, dass an dem fehlerhaften Konzept festgehalten wird.
Frage: Was müsste geschehen, damit das Debakel von 2013 sich nicht wiederholt?
Herr Wetzig: Ich glaube, dass sich alle öffentlichen Betroffenen finden und sich auf eine Linie einigen sollten. Unter Betroffenen verstehe ich hier die Sozialverbände und Träger der örtlichen Wohlfahrtspflege. Aber auch die Vermieter sind von falscher Mietwertermittlung betroffen. Es geht darum, die Firma dazu zu zwingen, ihre Arbeit öffentlich und der Kritik zugänglich zu organisieren. Und dass verhindert wird, dass durch die Firma, je nach Kassenlage des Landkreises, ein Wunschbild eines nicht existenten Wohnungsmarktes erfunden wird. Denn dieses Wunschbild geht regelmäßig an den Tatsachen des lokalen Wohnungsmarktes vorbei. Sollte dieses Verhandlungsangebot beim Landrat auf taube Ohren stoßen, bliebe nur noch die Möglichkeit, die Zusammenarbeit mit der Firma Analyse & Konzepte durch die Vermieter zu verweigern – quasi auf diese Weise Analyse & Konzepte vom Hof zu jagen.
Dieses Interview führte der Kreisrat und Landtagsabgeordnete Lutz Richt
Kategorien: DIE LINKE. Sächsische Schweiz-Osterzgebirge, Die LINKE. Region Dippoldiswalde
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