"Asylrecht ist Menschenrecht"
MdB Dr. André Hahn lud ein:
„Asylrecht ist Menschenrecht“
In kaum einem anderen Landkreis schlägt das Thema „Aufnahme von Flüchtlingen und Asylbewerbern“ gegenwärtig hohe derart hohe Wellen, wie im Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge. Fehlende Erfahrung im Umgang mit anderen Kulturen, Unwissenheit, Ressentiments, aber auch offener Rassismus werden spürbar. Dem riesigen Informations- und Diskussionsbedarf gab MdB Dr. André Hahn am 21. Januar 2015 im Pirnaer Aktivsportzentrum ein Podium.
Um es vorweg zu nehmen: es wurde eine der jemals zahlreich besucht und lebendigsten Veranstaltungen. Über 70 Gäste wollten sich im bis auf den letzten Platz gefüllten Raum informieren und mitdiskutieren. „Wir haben alle eine Verantwortung, dass wir vernünftig, sorgsam und mitfühlend mit der Thematik umgehen“, führte André Hahn zu Beginn aus.
Deutschland wird in den nächsten Jahren 15-20 Millionen Einwohner verlieren und das wird negative Auswirkungen auf Wirtschaft, Finanzen und Sozialsysteme haben. Nur durch eine über Jahre hinweg dauernde Zuwanderung ist es möglich, unseren Wohlstand aufrechtzuerhalten. Allerdings hat die Bundesregierung dies jahrelang verschwiegen und geleugnet. Unsere Menschen waren zum Teil unzureichend auf die Zuwanderungsströme vorbereitet, so André Hahn. Das Argument, Ausländer nähmen Deutschen die Arbeit weg, gelte so nicht. Arbeit darf nur an Asylbewerber vergeben werde, wenn kein Deutscher sie machen will. Viele Gaststätten und Hotels hätten ohne Personal aus Polen oder Tschechien größte Probleme. Viele Deutsche wiederum gingen in die Schweiz oder nach Österreich.
Das Sebnitzer Krankenhaus beispielsweise könnte seinen Auftrag ohne seine ausländischen Beschäftigten, die immerhin 25-30 % ausmachten, nicht mehr erfüllen. Und denken wir an die Fußball-WM – ohne seine Spieler mit ausländischen Wurzeln wäre Deutschland wohl niemals Weltmeister geworden.
Droht uns der Islam zu überrollen? Mitnichten. 2040 werden maximal 7 Prozent der Einwohner Moslems sein. „Wer von Überfremdung spricht, lügt!“, so André Hahn.
Er stellte fest, dass Deutschland eine nicht geringe Schuld an dem, was im Ausland passiert und Flüchtlingsströme verursacht, trägt. 57 Millionen Menschen sind gegenwärtig auf der Flucht – so viele wie noch nie seit Ende des 2. Weltkrieges. Viele suchten Schutz auf Zeit und wollen gar nicht für immer in Deutschland bleiben.
„Eine Tourismusregion muss Weltoffenheit und Toleranz vorleben“, wandte sich André Hahn gegen die antiislamistische Stimmung, die gegenwärtig in der Sächsischen Schweiz vornehmlich von der NPD geschürt wird. 20 Flüchtlinge aus Libyen in Bad Schandau, 37 in Sebnitz könne jeder akzeptieren.
Unser humanistisches Gedankengut einbringen
Der Landtagsabgeordnete Lutz Richter stellte in seiner anschließenden Rede ebenfalls klar, dass es den Initiatoren von PEGIDA um die Ausgrenzung von Flüchtlingen geht. Das „christliche Abendland“, das sie angeblich retten wollen, bestehe zu 60 Prozent aus Atheisten. „Die das organisieren, sind keine Bürger, wie du und ich“. Das laufe wie eine Firma. So eine Organisierung binde schließlich enorme Kräfte. Ja, da käme viel Unterstützung aus der rechtsradikalen Szene.
Wie können Linke gegenhalten? Der Linke-Kreisverband gründet eine Arbeitsgruppe Asyl. Viele Genossinnen und Genossen helfen bereits in eigener Initiative Asylbewerbern und Flüchtlingen. Ein ganzes Netzwerk existiert schon in Pirna. „Wir sollten immer unseren Menschenrechtsansatz und unser humanistisches Gedankengut einbringen“, so Lutz Richter.
Bitte sagen Sie: „Das sehen wir anders…“
Kerstin Körner ist die Kreisordnungsamtsleiterin, seit November für Sonderaufgaben abgestellt und zur Zeit unermüdlich und couragiert im Landkreis auf zum Teil rassistisch ausufernden Einwohnerversammlungen präsent. „Das Schlimmste, was wir derzeit haben, sind Gerüchte“, so die Gastrednerin. Sachsen bekommt 5,14 Prozent aller Ankommenden
(lt. Königsteiner Schlüssel) und unser Landkreis wiederum 6,08 % von ihnen. Asylsuchende werden medizinisch untersucht mit Blut-, Stuhl- und Röntgenuntersuchung, und kämen nur mit einem Negativbefund zu uns, entkräftet sie das Argument eines hohen Ansteckungspotentials für unsere Einwohner. Frau Körner erläuterte die Rechtslage. Diese besage: „Ihr müsst hier Asylbewerber aufnehmen“. Seit 2011 hätten sie sich im Landkreis verständigt: das lösen wir gemeinsam! Eine dezentrale Unterbringung funktioniere „reibungsarm“. Sie baue auf die Zusammenarbeit mit den Bürgermeistern, auf eine Verteilung der Asylbewerber je nach Größe der Kommune. In vier Beratungen wurde das mit den Bürgermeistern besprochen. Zum 20.01. hatten 948 Asylbewerber im Kreis Aufnahme gefunden. Unter ihnen sind 77 Frauen und 152 Kinder. Ganze 0,4 Prozent der Gesamtbevölkerung sind das. Familien, Frauen und Kinder bekommen Wohnungen. Bei den Herren sei es günstig, sie erst in Gemeinschaftsunterkünften unterzubringen. Auch, um sie an deutsche Besonderheiten, wie z.B. Mülltrennung heranzuführen. Freilich „menschelt“ es auch unter Asylbewerbern und hin und wieder gebe auch „schwarze Schafe“, so Frau Körner.
Warum kommen so viele Männer?, sei eine immer wieder gestellte Frage. Als plausibel erscheint es, dass Männer allein wegen der Fluchtstrapazen vorgeschickt werden. Frauen würde das nicht schaffen, so Frau Körner. Was vielen Zuhörern neu war: der Hass richte sich oft ausschließlich gegen den Mann. „Wenn Männer weg sind, sind die Frauen außer Gefahr.“
8 Flüchtlingssozialarbeiter sind derzeit im Landkreis unterwegs. Was soll erreicht werden? „Wir wollen Deutschkurse für alle anbieten“, so Frau Körner und nannte als weitere Punkte für integrationswillige Asylbewerber: Anerkennung ihrer Berufsabschlüsse und niederschwellige Beschäftigungsangebote. Erstrebt werden flächendeckende Netzwerke über Integrationsbeiräte der Kommunen. Es gehe ebenso um eine bedarfsgerechte Beschulung der Kinder.
Frau Körner forderte die Anwesenden auf, Bündnisse Vorort zu gründen, um eine zeitweise Integration zu ermöglichen. „Nur die sich hier angekommen fühlen, bangen auch für den Ort mit“. Von den Anwesenden wünscht sie sich Rückenstärkung in der Form, dass sie in Einwohnerversammlungen aufstehen und sagen: „das sehen wir anders“.
Es gibt keinen legalen Weg nach Deutschland
Dr. Petra Schickert vom Kulturbüro Sachsen ist in der AG Asyl des Landkreises aktiv.
„Es gibt keinen legalen Weg nach Deutschland“, führte sie aus. Man müsste glattweg mit dem Fallschirm abspringen. Sobald im Erstaufnahmeland ein Fingerabdruck in einer Kartei ist, hieße das, Deutschland ist nicht zuständig. Das sei Dublin III.
Das Asylbewerberleistungsgesetz sei so gemacht, dass kein Mensch in Deutschland mit diesem Geld leben könne. Für Asylbewerber werden Wohnungen hergerichtet. Dann erhalte der Haushaltsvorstand 336 Euro, alle anderen Personen darunter.
Warum nimmt Deutschland so viele Asylbewerber aus Tunesien auf? Die Länder hätten sich über diese Aufteilung verständigt und da Sachsen als „rassistisch“ galt, sollten es keine schwarzen Menschen sein. Das ändere sich aber gerade.
Die Anerkennungsquote für Asylbewerber betrage 63 Prozent. Sie bekämen einen Aufenthalt für drei Jahre nur bei Verfolgung durch staatliche Stellen. Taliban keine „staatlichen Stellen“ – also gebe es dann nur substitären Schutz für ein Jahr.
2008 gründete sich im Landkreis die AG Asyl. Damals gab es Heimunterbringung und Paketversorgung für Asylbewerber. „Wir wollten deren Lebenssituation verbessern und Vorurteile in der Mehrheitsgesellschaft abbauen“, so Petra Schickert. Es ist seitdem viel zum Positiven passiert. Man gewinnt den Eindruck, dass nunmehr alle an einem Strang ziehen. Mit Frauenpower und viel Fingerspitzengefühl stellen sich Frau Körner und Frau Schickert gemeinsam und mutig den noch den glimpflichsten oder unverfrorensten Fragen auf Einwohnerversammlungen und werben für Vertrauensvorschuss, und Offenheit.
Nur, den Berg Arbeit jetzt wegzutragen, schafften sie nicht mehr. Es müssten in den Regionen eigene Bündnisse her. In Bannewitz funktioniere das z.B. schon sehr gut.
Danach ging es zur Diskussion über.
Günter Wild aus Heidenau, langjähriger Stadt- und Kreisrat der Linken, wies darauf hin, dass Kinder gut integriert werden, Frauen ihr Betätigungsfeld in der Familie hätten. Wer seiner traditionellen Rolle nicht mehr nachkommen könne, das seien die Männer. „Sie haben hier nichts zu tun“, schilderte Günter Wild die für Betroffene oft ernüchternde oder deprimierende Situation. Er sieht es als vordergündig an, dass sie hier eine Aufgabe bekommen.
Der ehemalige Gymnasialschullehrer und Gemeinderat aus Reinhardtsdorf-Schöna Ernst Fink berichtet, dass er sich als Sprachlehrer für Asylbewerber angeboten hat.
Peter Müller aus Freital kritisierte die lange Prozedur, ehe Dozenten für Deutschkurse zugelassen werden. „Ich war früher beruflich in Syrien oder Nigeria, wurde überall liebenswürdig aufgenommen und das möchte ich jetzt zurückgeben“, bekräftigte er sein Engagement.
Dr. André Hahn berichtete aus den Bundestagsdebatten, dass viele CDU-Abgeordnete nicht wollen, dass Asylbewerber Deutsch lernten und dann womöglich die Absicht hätten, hier zu bleiben.
Eine positive Nachricht konnte die Landtagsabgeordnete und Fraktionschefin der Linken im Kreistag Verena Meiwald verkünden. Ab jetzt sind Asylbewerber auch im Sportverein versichert und damit ist eine große rechtliche Hürde zur besseren Integration genommen.
Der Pirnaer Historiker Hugo Jensch und Kreisrat Tilo Kloss wollten wissen, warum Asylbewerber wieder auf Wohnungssuche gehen müssen, sobald ihr Antrag bewilligt ist. In ihrer Nachbarschaft auf dem Sonnenstein suche eine Familie verzweifelt Wohnraum.
Frau Körner verwies darauf, dass sie die Wohnungen für die noch ankommenden Asylbewerber benötige. Sie verteidigt die Wohnungsgesellschaft als beispielhaften Vermieter, denn sie hätten ihre Mitarbeiter vorbildlich geschult und jeder spreche dort eine Fremdsprache.
Nach mehr als zwei Stunden endete die Veranstaltung mit zufriedenen Gesichtern, weil alle bewegenden Fragen offen angesprochen wurden. Tatkraft und gesunder Menschenverstand, die die Veranstaltung dominierten, heben sich wohltuend von Vielem ab, was derzeit im Landkreis passiert.
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