14. July 2019 Anja Oehm

Wahlkampf unter der Gürtellinie

Der malerische Tourismusort Gohrisch gehört zur Verwaltungsgemeinschaft Königstein/Sächs. Schweiz. Was sich hier im Umfeld der Bürgermeisterwahl am 26. Mai 2019 abspielte, dürfte einzigartig sein. Im Mittelpunkt: der Kandidat der LINKEN Maik Günther, 38 Jahre alt, Papiermacher. Nach 15 Jahren als Gemeinderat und auch als stellvertretender Bürgermeister hatte er bei der Neuwahl als Einziger Lust auf das Ehrenamt. Weil wir ihn als tatkräftigen, zuverlässigen, freundlichen, der Empathie fähigen Menschen schätzen, nominierten wir ihn gemeinsam mit den Freien Wählern. Weder die Befürchtung, für den im Ortsteil Cunnersdorf seit Jahren tobenden „Abwasserkrieg“ um vermeintlich zu hohe Gebühren noch für die Unzufriedenheit mit seinem Vorgänger in Mithaftung genommen zu werden, hielten ihn davon ab, sich in allen Orten der Gemeinde vorzustellen. Er machte sich und seine Wahlziele mit Flyern in alle Briefkästen bekannt und keine unhaltbaren Wahlversprechen. Gern hätte er sich mit Kontrahenten gemessen, nur wollte sich weit und breit kein anderer Bewerber zu finden. Die langweiligste Wahl, die man sich vorstellen kann, schien vorab entschieden. Schien…

Irreführende Flugblätter und Falschbehauptungen


Wenige Tage vor dem Gang an die Wahlurne tauchten plötzlich Flugblätter im Ort auf. Darin wurde, teils anonym, mit üblen Falschbehauptungen gegen Maik Günther Stimmung gemacht. „Wer Günther wählt, wählt Königstein!“, lautete der Titel eines Flugblattes. Wider besseres Wissen wurde ihm damit unterstellt, eine Eingemeindung voranzutreiben. Die Sächsische  Zeitung hingegen hatte am 2.5.19 Maik Günther in der Titelzeile zitiert: „Ich will, das Gohrisch eigenständig bleibt“. Er wolle Steuererhöhungen vornehmen, lautete ein anderer Vorwurf – was ein Bürgermeister gar nicht kann, weil dafür der Gemeinderat zuständig wäre. Maik Günther hätte keine Kompetenz, keine Zielstellungen, keine Erfahrung, und erst recht zu wenig Zeit für das Amt, weil er im 3-Schicht-Job tätig sei. Auf den Flugblättern las man:


Christian Naumann, 01824 Gohrisch
Schreiben Sie bitte diesen Namen auf den Wahlzettel zum Bürgermeister und
streichen Sie den Namen von Maik Günther.

Dadurch wurde auf einmal ein anderer, der 69jährige Kriminalkommissar a. D. Christian Naumann, der sich gerade aus dem Gemeinderat verabschiedet hatte, gepusht. Von wem auch immer… Der scheidende 78jährige Bürgermeister Heiko Eggert hatte zuvor im Amtsblatt auf der Titelseite ausdrücklich darauf hingewiesen, dass man anstelle des einzigen offiziellen Kandidaten auch eine andere Person auf den Stimmschein schreiben könne. Die z.T. vierseitigen A4-Flugblätter erschienen aber in jeder Hinsicht so bösartig und hanebüchen, dass Maik Günther auf eine Gegendarstellung verzichtete, um das alles nicht noch aufzuwerten. Von Angesicht zu Angesicht kam von den Einheimischen kaum etwas Negatives rüber. Mehr Zuspruch als Ablehnung – Maik, bitte mach das, wir unterstützen dich! Der Ort brauche endlich einmal eine langfristige Perspektive.


Dann der Wahltag:​
Nach der Auszählung stand fest: Lediglich 37,3 Prozent der Wähler hatten Maik Günther ihre Stimme gegeben. Die Mehrheit der Gohrischer jedoch entschied sich für Naumann, der mit 50,6 Prozent zum überraschenden Gewinner gekürt wurde. Viele Wähler hatten also genau das, was auf den Flugblättern gefordert wurde, getan. Beachtenswert: Bei der Auszählung der Briefwahl lag Maik Günther vorn. Diese Wähler hatten ihre Stimme vor Verteilung der denunziatorischen Flugblätter abgegeben. Christian Neumann will an den Flugblättern nicht mitgearbeitet haben, gab aber gegenüber der SZ zu, davon gewusst haben. Statt selbst zu kandidieren, hat er Dritte einen Wahlkampf „unter der Gürtellinie führen lassen. Kein guter Stil für einen, der Bürgermeister werden möchte.“ (SZ 6.6.2019). André Hahn, selbst Gohrischer und als linker Bundestagsabgeordneter Unterstützer Maik Günthers, prangerte eine „bewusste und in meinen Augen vorsätzliche Irreführung der Wählerinnen und Wähler“ an.

 


Kehrtwende und Verwaltungsmitarbeiter am Pranger

 

Nur, dass man gewissenhaft sein muss, wenn ein ohnehin zweifelhaftes Verfahren rechtsgültig sein soll, hatten viele Bürger nicht im Blick. Stimmscheine mit den handschriftlichem Vermerk „Neumann“, „Herr Neumann“  u.a. wurde bei einer Neuauszählung vom Wahlvorstand für ungültig erklärt, da neben dem Namen eine zusätzliche Bezeichnung erforderlich ist, um ihn eindeutig einer Person zuordnen zu können. Den Wahlschein richtig zu lesen, wo darauf hingewiesen wurde, hätte genügt.
Also Kehrtwende in einer „komplett verrückten Bürgermeisterwahl“ (SZ vom 6.6.2019). Völlig schockiert verließ Maik Günther die Sitzung des Gemeindewahlausschusses, die ihn plötzlich zum Sieger erklärt hatte. „Demokratisch ist es eindeutig, aber menschlich eine schwierige Situation für mich“, gab er zu. Die Schmutz-Kampagne gegen ihn hatte ihm zugesetzt. Er ahnte wohl, dass seine Widersacher nicht Ruhe geben würden.
Prompt erschien unmittelbar danach ein Aushang an der Litfaßsäule auf dem öffentlichen Parkplatzes des ersten Flugblattautors in der Gohrischer Ortsmitte. Hauptamtsleiterin und Gemeindewahlausschuss (mit namentlicher Nennung) hätten die erfolgte Bürgermeisterwahl von Gohrisch „auf den Kopf gestellt“. Der Mehrheitswillen der Bürger würde missachtet. „Herr Günther sollte unter diesen Umständen die Bürgermeisterwahl nicht annehmen …. Andernfalls droht die Wahlanfechtung und die fehlende Akzeptanz des BM Maik Günther im Gemeinderat und bei den Bürgern.“ (Text siehe Anlage).
Dann wurde es noch seltsamer: Der Aushang war unterschrieben mit „Euer / Ihr Ivo Teichmann.“ Ivo Teichmann ist jedoch kein Gohrischer. Er ist Kreisrat für die AfD, kandidiert gerade für den Sächsischen Landtag. War es der Plan, in Gohrisch durch die Hintertür den ersten AfD-Bürgermeister im Osten zu installieren, der als offizieller AfD-Kandidat wohl nicht gewählt worden wäre?

„Der Verlierer heißt Gohrisch“


Maik Günther wird das Amt nun aber auch nicht antreten. Dass nur gut ein Drittel der Gohrischer ihn unterstützte, ist für ihn keine ausreichende Legitimation. Seine Widersacher mobben dennoch weiter in den sozialen Netzwerken gegen ihn - er versucht, es nicht an sich ran zu lassen. Er braucht das Amt des Bürgermeisters viel weniger, als es ihn gebraucht hätte. Obwohl menschlich tief enttäuscht, versteckt er sich nicht. Schließlich wurde er ja dennoch als einziger Linker in den Gemeinderat gewählt. Zu den Schostakowitsch-Tagen in Gohrisch gönnte er sich mehrfach den Kunstgenuss, mischte sich unters Volk. Und die Einheimischen grüßten ihn freundlich, hielten ein Schwätzchen. So wie immer. Als sei das alles nur ein böser Spuk gewesen…


Voraussichtlich erst im Januar wird es nun Neuwahlen geben. Die blamablen Schlagzeilen waren eine schlimme Negativ-Werbung für den Tourismus-Ort. „Der Verlierer heißt Gohrisch“ titelte die Sächsische Zeitung. Das ist leider zutreffend!

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